Geschrieben von: Jens Kirchhoff
Hauptkategorie: Für die Öffentlichkeit
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+++ 25.10.2022 +++

Am Wochenende 8.-9. Oktober waren wir wieder vertreten in Berlin, auf dem VCFB 2022. Der Stand dieses Mal war eine lange Tischreihe, angefüllt mit vielen Angeboten zum Ausprobieren.
Es wurden bewusst Exoten gezeigt, um die Aufnahmefähigkeit des Publikums für die Vielfalt der CCG-Sammlung zu testen.
Entsprechend war das Motto: "And Now For Something Completely Different" (Monty Python).
Leider konnte nur Jörg auftreten und machte sich die Mühe, ein breites Spektrum unserer Vereinssammlung und -aktivitäten auszusuchen, zu transportieren, aufzubauen und zu betreuen. Das war dann wohl doch etwas viel. Das nächste Mal kommen noch Mitglieder mit...

Am Freitag war Aufbau ... noch ohne Publikum, dafür mit Zeit für andere Aussteller.

VCFB 2022 CCG Stand (8) (Klein)

VCFB 2022 CCG Stand (7)q (Klein)

Trotzdem fanden sich bei Osborne und IBM einige Liebhaber und kenntnisreiche Bediener.

Zunächst stellen wir mal die Geräte bzw. unsere Versuchsplätze vor.

 

Planimeter

Das Gerät ist eine geniale Erfindung zur Flächenberechnung bzw. -messung. Man umfährt mit Stift oder Lupe eine Fläche und liest den Flächeninhalt an einem Rädchen ab. Die Genauigkeit ist sehr gut, man muss aber darauf achten, die Umrandung genau einzuhalten, den Fuß festzuhalten und eine glatte aber nicht zu glatte Oberfläche zu haben. Als Beispiel gab es u.a. den Müggelsee, der auf Papier so gedruckt wurde, dass 4 Kilometer quer genau 10 cm entsprechen. Die abgebildeten Herren kamen leider nicht auf das richtige Ergebnis von 7,4 Quadratkilometer.

Besucher staunten, wie beim Umzeichnen der Test-Fläche das einzige Addier-Rad trotz chaotischer Hin-und Her-Bewegungen immer den richtigen Flächeninhalt anzeigt.
Auch die feinmechanische Ausführung der Planimeter beeindruckte.

 VCFB 2022 CCG Stand Planimeter (3) (Klein)  Polarplanimeter Dr. Josef Kirchhoff 8 Klein

Solche Polarplanimeter und andere Planimeterkonstruktionen wurden lange Zeit in allen Katasterämtern verwendet, um Grundstücksgrößen zu ermitteln. Aber auch zur Messung der Stoffflächen aus Schnittmustern in der Textilindustrie oder Fellgrößen wurden Planimeter eingesetzt. Schließlich gab es noch komplizierte "Integrimeter" und andere grafisch arbeitende Geräte, die in der Wissenschaft zur Auswertung von Diagrammen verwendet wurden. Siehe mehr auch bei Uni Bremen, Herrn Blümich,

DigiComp 1

Dieses Kleinod aus den 1960er Jahren (war und) ist ein mechanischer Computer, und zwar digital mit 3 Bits und programmierbar. Für Laien ist die Funktionsbeschreibung kaum verständlich, und man freut sich an Schiebern, Gummis etc, wenn der Rechner in Aktion ist, übrigens per 3-D-Druck und Motorantrieb vollautomatisch.

VCFB 2022 CCG Stand digicomp (klein)   Digicomp 1 Jörg Bilder 8 Klein

Wer aber aus der Informatik kommt und zum Beispiel "Automatentheorie" lernen musste, war von dieser Erfindung hellauf begeistert.
Die Funktionen von DIGICOMP konnte dann in nur 4-5 Sätzen erklärt werden: "getaktete State machine", "3-bit-Register",  "Zustandstabelle aus Logiktermen in Normalform", "vordere Stangen bilden UND-Terme", "hintere Schieber bilden ODER Terme".
Wer das Gerät im Video in Arbeit sehen oder es genau wissen will und Englisch kann, siehe HIER .

DIGICOMP und Planimeter standen zufällig in unmittelbarer Nähe zum Nachbau einer Schickard-Rechenmaschine und zu einem nachgebauten ZUSE Z1 Addierwerk.
Dadurch ergab sich eine kleine, aber feine Unter-Ausstellung zum Thema "mechanisches Rechnen". Das könnte man noch ausbauen ...

OSBORNE 1

ist einer der frühesten Kofferrechner, also portabler PC mit Betriebssystem CP/M, das vor dem DOS von Bill Gates oder Digital Research bereits ziemlicher Standard war. Ohne Festplatte musste man auch hier "Diskjockey" spielen: Eine Floppy hatte das Programm, und im anderen Floppylaufwerk waren die Daten untergebracht. Siehe auch beim HNF. Er ist sehr schwer und hat keinen Akku, braucht also immer Stromanschluss. Trotzdem schätzte man die Mobilität dieses Rechners.

Leider knallte und rauchte es nach dem Aufbau, da wieder nach so langer Standzeit ein Kondensator abfackelte. Das konnte aber repariert werden ... zum Glück waren noch keine Besucher anwesend. Das OSBORNE 1 Gehäuse könnte aber ruhig etwas service-freundlicher gestaltet sein! (Heute geht das gar nicht mehr: Wegen der Trennung der Werkstoffe im Recycling wird kaum noch geschraubt sondern gesteckt. IBM hat allerdings beim PS2 bereits in den 1980ern das demontage- und servicefreundiche Steckprinzip angewendet.)

VCFB 2022 CCG Stand OSBORNE (2) (Klein)   VCFB 2022 CCG Stand OSBORNE (4) (Klein)

VCFB 2022 CCG Stand OSBORNE (8) (Klein)  OSBORNE I Inv341 29aklein

Offenbar konnte das kleine Bildschirmchen mit den grünen ASCII-Zeichen und Pseudografik Anziehungskraft beim Publikum erzeugen. Da das Betriebssystem gut bedienbar ist, kann man sich spielerisch durch die Funktionen daddeln. Aber auch das Adventurespiel ZORK, das Textsystem (WordStar) und die Tabellenkalkulation (SuperCalc) machten Spaß. Schon damals konnte man in der Tabellenkalkulation mit Funktionen arbeiten wie z.B. SUM( ) . Hier begann der Computer, in das "home" einzuziehen. Allerdings konnten sich Hard- und Software erst einmal nur das business leisten. Den Selbständigen und kleinen Büros tat das schon weh, ermöglichte aber ungeahnte Steigerung der Leistung bei Geschäftsprozessen, vorneweg die Bauingeneure mit ihrer aufwendigen Statik, Übersetzer und Autoren, Abrechnungsbüros, Ärzte u.s.w. Den Osborne brauchte man vor Kunde bei Handlungsreisenden, besonders häufig Versicherungsvertreter: rein ins Auto und los.

IBM 3278

ist ein Großrechnerterminal. Da es den Großrechner nicht mehr gibt, muss man ihn emulieren. Wir haben das Gesamtsystem bei uns zum Laufen gebracht. Ein simpler Laptop ist nun ein IBM 370-Rechner, der früher eine ganze Halle beanspruchte und viele Terminals und Periferiegeräte angeschlossen hatte.

VCFB 2022 CCG Stand IBM3278 (4) (Klein)   VCFB 2022 CCG Stand IBM3278 (5) (Klein)

Zu unserem Erstaunen verliebte sich ein junger Experte in das Gerät, installierte das Terminal-Interface auf seinem Laptop, verband sich mit einem IBM-Server daheim und führte das Betriebssystem MVS TK4 vor. Nach einigen Stunden Zuschauen hat man dann auch Grundzüge der IBM-Benutzeroberflächen verstanden.
Die Arbeit an einem echten 3270 war motivierend: Es zeigte sich wieder mal, dass keine Emulation das Feeling der Originalgeräte vermitteln kann. Emails an andere IBM-Enthusiasten wurden verschickt, wir wurden für unser lauffähiges 3278 Terminal beneidet. (Auch deshalb stellen wir aus!)

VCFB 2022 CCG Stand IBM3278 (7) (Klein)  IBM 3278 Terminal Inv330 2ab Klein

Die Krönung war dann, dass er den Kasten ausmaß, um einen CAD-Nachbau zu erzeugen. Wir haben also gewisse Bestätigung, dass diese untergegangene IBM-Welt noch hier und da für uns Nachfahren erhalten bleibt. Schließlich war der IBM/370 DER Rechner der 1970er Jahre, in allen Branchen und Organisationen im Einsatz.

In Nachgesprächen erinnerten sich noch zwei Berliner Besucher daran, dass sie "auch noch so ein ähnliches Terminal im Keller haben".
Wir beschlossen, dass das CCG in Jahr 2023 seinen vollständigen IBM-370-Aufbau zeigt, mit Gelegenheit, auch Fremdgeräte anzuschliessen.

LSI-Box

Das PDP-11 Anschauungsmodell ist eher was für Kenner der PDP von Digital Equipment. Zwischen anderen PDP-11 machte es sich immer gut, auch weil es auf Ästhetik getrimmt ist.
DEC war auf dem VCFB zum ersten Mal gar nicht vertreten, so dass die "LSI-Box" ein Exot blieb. Da Besucher auch nicht animiert wurden blieb sie weitgehend unbeachtet. Dennoch ist das ein interessantes Artefakt, das hier beschrieben wird.

Facit Fazit

Leider war der Besucherandrang eher durchschnittlich. Eine Woche zuvor hat bereits das Heinz-Nixdorf-Forum zu einem Festival eingeladen, die Werbung war wohl bescheiden und durch die Baustellen drumherum kam vermutlich keine große Lust für einen Besuch auf. Da half auch die fantastisch zentrale Lage der Location nichts, war vielleicht sogar kontraproduktiv: im benachbarten Regierungsviertel fand eine grosse AfD-Kundgebung statt mit entsprechenden Gegendemonstrationen und hohem Polizei-Aufgebot.

Wir haben dazugelernt, dass man bei neuartigen Exponaten, die weder durch Größe, Lautstärke oder optische Reize glänzen, hohen "Betreuungsaufwand" leisten muss: Besucher interessieren sich zuverlässig, wenn man aktiv auf sie zugeht.
Die Veranstalter haben die neuartige Diversität des CCG-Aufbaus positiv kommentiert: "Auf jeden Fall lieber was Neues und auch Kuriositäten zeigen, als immer nur dieselben Publikums-Magneten".

Wie immer machte es viel Spaß, die anderen Ausstellungen und deren Väter zu besuchen. Da kommt viel hervoragendes Exponat in die Öffentlichkeit. Zu erwähnen wäre das Zuse-Blechaddierwerk, das selbst mit dem Modell nur schwer nachvollziehbar ist, aber hier wenigstens mal geduldig erkärt wird. Auch andere Bauprojekte lassen staunen; der Aufwand ist enorm.